Sonntag, 30. Januar 2011

"Wenn der Schnee taut fahren wir nach Deutschland.."

Als ich am Montagmorgen die Wohnungstür abschloss, wurde ich aufmerksam von Katzen beobachtet. Ich hatte es schon mal kurz erwähnt, dass Streuner hier normal sind - auch ich habe mich mittlerweile an die herrenlosen Tierchen in den Treppenhäusern der Plattenbauten gewöhnt. Sie sind wahre Überlebenskünstler, denn trotz der eisigen Temperaturen sind sie am Leben.
Zwei Katzen...
Soviel zum Thema Mülltrennung...

Mein Schulweg wird endlich wieder mit morgendlichen Sonnenstrahlen erhellt - was sich gleichermaßen erhellend auf mein Gemüt auswirkt. Noch erfreulicher ist es allerdings, wenn man in der ersten Unterrichtsstunde des Tages (Russisch) gelobt wird, weil man im Diktat nicht mehr allzu viele Fehler gemacht hat. Dennoch ist nicht ein Satz fehlerfrei. Wer glaubt, dass deutsche Rechtschreibung kompliziert sei, hat sich noch nicht mit russischer Rechtschreibung auseinander setzen müssen. Vorsilben wie: „pre“ und „pri“, welche nur in bestimmten Fällen geschrieben werden, aber fast immer wie „pri“ ausgesprochen werden, oder Buchstabensetzung „s“, „doppel s“, „se (anderer Buchstabe)“ oder „s se“ usw. grauenhaft! Zudem gibt es hier noch „Weichheitszeichen“ und „Hartheitszeichen“. Sie zeigen an, wie einige Buchstaben ausgesprochen werden - jedoch ist der feine Unterschied der verschiedenen Aussprachen kaum hörbar für einen Nichtmuttersprachler. Ich frage mich, ob ich das jemals kapieren werde.
Nach meiner letzten Schulstunde schaute ich wieder bei der Deutschlehrerin vorbei. Wie immer begrüßte sie mich strahlend: „Hallo, meine Sonne! Wie geht es dir? Wie schön, dass du da bist!“ Wir unterhielten uns fast eine Stunde lang über Deutschland - allerdings auf Russisch. Sie kann zwar wirklich erstaunlich gut deutsch (bei weitem besser, als ich russisch) aber Übung macht den Meister – und so übe ich. Sie war zweimal in Deutschland und will noch unbedingt „das Weihnachten“ in Deutschland erleben - als sie das sagte, funkelten ihre Augen, wie die eines kleines Kindes am Heiligen Abend.

Am Abend sah ich Nachrichten: „Anschlag in Moskau“ Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die Reaktion meiner Gastmutter. Sie war gelassen. Ich sagte (mehr zu mir selbst, als zu ihr), dass ich bestürzt war. Sie erwiderte meine Aussage mit: „Letztes Jahr gab es einen Anschlag auf die Metro. Das ist Russland.“ Und verließ den Raum…

Die Auswirkungen des Anschlages waren schon am nächsten Tag zu spüren. Tscheboksary ist die Landeshauptstadt von Tschuwaschien und somit nicht irgendeine Stadt im großen, weiten Russland - ergo: die Anzahl der Milizbeamten hat sich mindestens verdoppelt. Während man in Deutschland einen Polizeibeamten eher selten zu Gesicht bekommt, so sieht man hier täglich mindestens zwei Beamte.
Völlig egal, ob viele Milizionäre oder nicht: ich musste am D-i-e-n-s-t-a-g wieder zum Zahnarzt. Ich habe keine Ahnung, was sie das letzte mal genau gemacht hat. Fakt ist: Verbessert hat sich nichts.
Ich nahm auf dem Zahnarztstuhl platz und erklärte ihr, dass die Situation unverändert schmerzempfindlich sei. Daraufhin begann sie verschiedene Spritzen zu füllen - was mich unweigerlich fragen ließ, ob ich Schmerzen befürchten müsse. Sie antwortete mit einem beruhigenden Zahnpastagrinsen und „Nein.“. Beruhigt. Mund auf. Schmerz. Ich sag' euch: Glaubt niemals einem Zahnarzt, welcher sagt, dass es ganz bestimmt nicht weh tun wird. Sie reinigte die schmerzempfindliche Stelle mit eiskaltem Wasser und versiegelte sie anschließend - ich frage mich, warum sie das nicht gleich beim ersten mal gemacht hat. Nach der Behandlung erklärte sie mir, was sie gemacht hatte, wobei es mir lieber gewesen wäre, im Voraus zu wissen, was auf mich zu kommt. Obwohl sie wirklich sehr nett ist, war ich froh, als ich endlich das Weite suchen konnte - ich bin kein sonderlich großer Fan von Zahnarztbesuchen.

Am Mittwoch verschliefen Xjuscha und ich um ungefähr 20 Minuten. Dies veranlasste Dascha dazu uns den gesamten Morgen mit: „Ihr Dummerchen habt verschlafen.“ zu ärgern. Insgesamt ist Dascha allerdings wesentlich anhänglicher bezüglich meiner Person geworden. Wenn ihre Mutter und sie nach Hause kommen, erwarte ich sie meist schon an der Tür. Dascha rennt dann quietschend in meine Arme und ruft „Meine Scharlotta! Nicht deine! Nur MEINE!“ Seit neustem ruft sie außerdem: „Wenn der Schnee taut, fahren wir zu Scharlotta nach Deutschland!“ Zum knutschen! Meine Eltern haben meine Gastfamilie bereits eingeladen, aber ob das nun dieses oder nächstes Jahr etwas wird, steht nicht fest. Ach - da wir gerade bei Daschas Aussprüchen sind: Sie hat vor nicht allzu langer Zeit verstanden, dass Deutschland ein anderes Land ist und ich dort bis vor kurzem gelebt habe. Dies ließ sie natürlich zu niedlichen Fragen verleiten:
„Scharlotta, hast du eine Mami?“
„Natürlich.“
„Und einen Papi? Hast du einen Papi?“
„Ja, wenn du willst kann ich dir sogar Bilder zeigen.“
Und dann saß das 3-jährige Mädchen auf meinem Schoß und ließ sich voller Begeisterung Bilder meiner Familie zeigen.

„Scharlotta, gibt es bei euch in Deutschland Geschäfte?“ Ich musste grinsen…

Gedankensprung. Es ist Mittwoch und ich befinde mich gerade im Speiseraum meiner Schule. Dies ist einer der wenigen wirklich geheizten Räumen, was mich dazu veranlasst meine Freistunden hier zu verbringen. Zu mir gesellte sich eine Elftklässlerin (also auch 17 Jahre alt). Ich kannte sie bereits flüchtig. Sie war ein Jahr in Amerika gewesen. Wir unterhielten uns darüber, wie es ist, ein Jahr getrennt von allem Vertrauten zu verbringen und über die Erfahrungen die man dabei sammelt. Es ist so, als wäre ich durch das Austauschjahr in eine Art Klub eingetreten. Sobald man einen anderen Austauschler trifft, scheint man automatisch auf der selben Wellenlänge zu sein - ein seltsames, aber durchaus positives Gefühl. Sie sagte etwas, was sich in mein Hinterstübchen eingebrannt hat:
„Der Flug ins Abenteuer ist wesentlich leichter, als der Flug zurück.“ Wahrscheinlich werde ich Sonntagmorgen, wenn ich im Halbdusel zu faul bin, um aufzustehen, darüber nachdenken - vermutlich mehr als nur einmal.

Es reicht! Die Ereignisse des Donnerstags veranlaßten mich dazu, dass dies das letzte Mal war, dass ich zu dem dämlichen Training gegangen bin. Jedes Mal zeigt uns die Trainerin „Vorher-Nachher Bilder“ (dick-dünn). Im vorherigen Monat kam mal ein Gerippe zum Training. Wirklich: Die junge Frau hatte eingefallene Wangen, keine Kurven - also nur Haut und Knochen. Schrecklich! Meine Trainerin meinte nur: „Das ist ein beispielhaftes Modell, Mädels!“ Ich weiss ja nicht… Männer sind zwar einfach gestrickt, aber so primitiv wie ein Hund, um sich über Knochen zu freuen, sind sie nicht…oder?
Naja, jedenfalls sprach mich die Trainerin am Donnerstag an. Sie machte mir ein Kompliment zu meiner Figur und meinte, jetzt könnte man von mir Fotoaufnahmen machen. Na klar. Soweit kommt’s noch. Ich stell' mich doch nicht in 'nem hautengen Body vor die Kamera und schreibe anschließend eine Erfolgsgeschichte zu meiner tollen Figur. Nein danke.

Sowohl am Donnerstag als auch am Samstag fiel Biologie aus und somit gab es weder Kekse noch Tee für mich - schade. Anstelle vom Biologieunterricht des Samstages besuchten wir das Schulkonzert. Am Samstag war Tag der offenen Tür. Aber auch dieser Tag wird hier etwas anders begangen, als in Deutschland. An meiner deutschen Schule ist dann am Nachmittag für alle Interessierten geöffnet. Ein kleines Konzert, Theaterstücke und Präsentation der Lehrmethoden bzw. kleine Ausstellung zum ach so wunderbaren Schulleben. Außerdem werden noch kleine Spiele veranstaltet und Erfrischungen bzw. Snacks angeboten. Hier haben die Eltern die Gelegenheit den Unterricht ihres Kindes mitzuerleben. Bedeutet im Klartext: Meine Gastmutter kam total gestresst nach Hause, da die Hälfte der Eltern angetanzt war und ihr nun auf die Finger gesehen hat (sie ist Grundschullehrerin).
Desweiteren fand noch ein kleines Konzert statt. Dieses wurde mit einem Tangotanzpaar eingeleitet, welches zum Lied „der Pariser Tango“ von Mireille Mathieu tanzte. Schlagartig musste ich grinsend an meine Mutter denken. Sie hat oft solche Lieder gehört, was mich als Kleinkind sehr begeistert hat, später allerdings nur nervraubend wurde. Ich sang leise mit und strahlte über das ganze Gesicht. Natascha fragte erstaunt woher ich so gut französisch könne - darauf meinte ich: „Das ist Deutsch.“ Sie sah mich erstaunt an. Ich war nicht weniger erstaunt, denn schließlich lernt sie seit mindestens 2 Jahren Französisch…
Ansonsten war der Tag der offenen Tür ein normaler Tag, ohne weitere Aktionen.

Anschließend gingen wir wieder zu Xjuschas Vater und machten einen kurzen Abstecher zur Gutmütigen. Ich mag die Besuche bei Xjuschas Oma nicht mehr so, seit jenem Ereignis:
Oma „Ist ja schön, dass ihr gekommen seid! Wollt ihr was essen?“
Xjuscha „Nein, danke. Wir haben bereits in der Schule gegessen.“
Oma „Ich hab gestern erst Suppe gemacht!“
Xjuscha: „Nein wirklich, wir haben keinen Hunger.“
Oma: „Was ist mit Fisch? Die Suppe habe ich übrigens nach einem neuen Rezept gemacht!“
Xjuscha „Nein.“
Oma „Aber irgendwas müsst ihr doch essen! Ihr seid so schrecklich abgemagert! Ich hab auch Kartoffeln und Salat - wieso wollt ihr meine Suppe nicht?“
Xjuscha (langsam verkrampft sich der Ton ihrer Stimme): „Nein, danke. Wir haben doch schon in der Schule gegessen. Wir sind satt.“
Oma: „Na gut. Und Tee? Ich habe auch Grapefruit gekauft und Mandarinen…irgendwo hier ist auch noch Schokolade…“
Xjuscha (gibt sich geschlagen): „Ja. Tee…“
Wenn man hier sagt: „Lasst uns Tee trinken.“ Bedeutet das: „Lasst uns Torte, Kekse und Schokolade essen und dazu Tee trinken.“ Die Gutmütige tafelte nun auf. Xjuscha und ich aßen Mandarinen und Grapefruit. Nur von dem Süßkram ließ ich die Finger.
Oma: „Wieso isst du nichts Süßes?“
Ich. „Danke ich bin satt.“
Oma: „Hmm. Aber du musst doch was essen, Kind!“
Ich: „In der Schule habe ich Suppe, Salat und noch Plov gegessen - ich bin satt.“
Die Gutmütige öffnet die Verpackung der Schokolade, stellt sich vor mich, nimmt mir die Mandarine aus der Hand und sagt: „Iss!“
Ich (Mühe die Fassung zu behalten. Hat sie mir grad' wirklich gesundes Obst aus der Hand genommen, um mir unerwünschtes Konfekt zu geben?!): „Nein, danke. Ich möchte nicht.“
Xjuscha (bei ihr blinken die Alarmglocken. Sie merkt, das ihre Oma zu weit gegangen war. Springt auf, nimmt der Oma das Konfekt aus der Hand und meint: „Oma - wenn sie doch satt ist..“
Die Gutmütige ließ ab und plauderte unverändert weiter.
Die Essverkrampftheit in diesem Land ist wirklich unangenehm.
Mädchen hungern, um auszusehen wie eins der Gerippe aus Modezeitschriften.
Erwachsene essen so oft es geht. Ein normales Mittelmaß scheint es selten zu geben. Naja - wenigstens ist das Essen lecker.

Fazit: „Dem Thema „Essen“ wird hier ein viel zu hoher Stellenwert eingeräumt, wobei das erwünschte, gesunde Maß an Nahrungsaufnahme selten eingehalten wird.“

PS.: Xjuschas Vater hat gerade angerufen- wir machen heute einen Ausflug an die Wolga - jeha!

Samstag, 22. Januar 2011

angetrunkene Lehrer...

Die erste Stunde meines montägigen Schultages war Russisch. Wieder mal kamen einige Schüler zu spät und entschuldigten ihr Zugspätkommen mit der Ausrede, dass die Wege hier schlecht geräumt seien. So kamen wir also auf das Thema russische Straßen zu sprechen, was schließlich in einer Lobeshymne, der Lehrerin, auf deutsche Straßen endete. Ich musste grinsen- sie sagte es etwa, wie folgt:
„Och! Die Straßen und überhaupt die Wege in Deutschland! Traumhaft! Gerade und ach einfach wunderbar… ich war mal in Leipzig, als noch DDR war… . Es gibt da sogar Fahrradwege! Könnt ihr euch vorstellen?! Kleine Wegeabschnitte extra für Fahrradfahrer! Ach ja… Leipzig… da gibt es eine Zoo! Einen wunderbaren Zoo…“
Und einmal den Plauderton angeschlagen besprachen wir gleich noch ein weiteres Thema: die gestiegenen Kosten für Öffentliche Verkehrsmittel. Ja, der Kapitalismus macht auch vor Cheboksary nicht halt und so sind die Kosten eines Trolleybustickets um einen Rubel gestiegen- bei einer Marschrutka sogar um 2 Rubel. Das hat Auswirkungen auf die Monatskarte. Statt den üblichen 330 Rubel (8 Euro) müssen wir jetzt 500 Rubel (12 Euro) blechen. Eigentlich bekommt man ca. die Hälfte zurückgezahlt, wenn die Eltern ein entsprechendes Schreiben verfassen. Da das mit dem Schreiben meiner Eltern so ´ne Sache ist, regelt das meine Gastmutter für mich.

In einer Pause suchte ich das Zimmer der Deutschlehrerin auf. Ich habe euch noch gar nicht erzählt, dass ich diese Frau wirklich sehr gern habe. Sie ist stets gut gelaunt, hilfsbereit und hat etwas von einer lieben, deutschen Oma, welche ihren Enkeln Märchen vorliest und mit Keksen verwöhnt. Wir plauderten etwas. Sie sagte mir, dass ich Mitte Februar einen Vortrag zum Thema „Deutschland“ halten dürfe- 30 Minuten und das auf Russisch. Super… Außerdem schenke sie mir Hörkassetten und ein Buch mit Puschkinschen und Oneginschen (Ewgeni Onegin) Gedichten. Sie meinte es sei wichtig zu lesen und zu hören, dass würde die Sprachfähigkeit verbessern. Ich bedankte mich, denn ich freue mich wirklich über diese Aufmerksamkeit.

Am Dienstag erfuhr ich, dass an unserer Schule für zwei Wochen „die Kommission“ sein wird. „Die Kommission“, wie sie hier immer nur ehrfürchtig genannt wird, beurteilt das Gymnasium- Unterricht, Einhalten der Kleidungsvorschriften usw. werden zur Kenntnis genommen.
Außerdem haben jetzt alle einen neuen Stundenplan. Ich war übereifrig und habe mir meine Stunden selbstständig heraus geschrieben und zu einem Stundenplan zusammen gefügt. Als ich meine YFU- Zuständige bat mir einen neuen Stundenplan zusammenzustellen, da ich an eineigen Tagen sehr wenige Stunden habe oder sich Unterrichtsfächer überschneiden, warf sie einen Blick auf meinen selbstzusammengebastelten Stundenplan und meinte, dass sie ihn noch einmal überarbeiten werde, aber vorerst wäre der völlig in Ordnung- so wie ich sie kenne, wird sie ihn nicht überarbeiten.


Nach der Schule ging’s zum Zahnarzt. Ich hatte das Gefühl ein Loch im Zahn zu haben und ehe es beginnt zu schmerzen informierte ich meine Gastmutter. Nun hört man so einiges über russische Medizin… ich musste schon einmal in Deutschland bohren über mich ergehen lassen, weshalb ich eine Heidenangst vorm Zahnarztbesuch hier hatte.
Wir gingen in die Polyklinik. Wie gesagt, so etwas wie eine kleine Arztpraxis scheint es hier nicht zu geben (oder nur sehr selten).
Am Eingang mussten wir blaue Plastikstulpen über unsere Straßenschuhe ziehen- das ist hier in medizinischen Einrichtungen üblich. Mit den lustigen Plastiktütchen an den Füßen stiefelten Xjuscha und ich zum Zimmer des Zahnarztes. Ich verabschiedete mich von Ksjoscha mit den Worten: „War schön dich kannengelernt zu haben…“ und betrat das Zimmer:
Eine junge, gutaussehende Ärztin begrüßte mich und meinte ich solle Platz nehmen. Der Raum war zwar klein, aber eingerichtet wie eine mir bekannte Zahnarztpraxis. Nur die Frage der Zahnärztin an die Schwester verunsicherte mich:
„Ist das Besteck benutzt?“
Zahnärztin: „Äh…nein…doch- doch!“
Dennoch nahm ich platz und erklärte ihr, dass ich befürchte ein Loch im Zahn zu haben. Sie sah in sich an und beruhigte mich, indem sie meinte, dass ich noch rechtzeitig vor der Entstehung eines Loches vorbeigekommen wäre. Sie erklärte mir anschließend auf russischem Fachchinesisch was sie jetzt dagegen unternehmen würde. Ich verstand nichts und fragte deshalb nur: „Wird es weh tun?“ Antwort: „Nein.“ Gut- mehr brauchte ich nicht wissen.
Sie versiegelte den Zahn und meinte ich solle am Donnerstag wiederkommen.
Hier ein paar Bilder:
Plastiktütchen
Korridor
Rezeption


Um drei fand ich mich wieder in meiner Schule ein. Katja (YFU- Zuständige) hat ein Treffen der YFU- Austauschler einberufen. Gemäß deutscher Pünktlichkeit verspäteten sich zwei Mädels eine Stunde, was Katja natürlich etwas verärgerte. Katja begrüßte mich übrigens mit den Worten: „Hey! Du hast abgenommen!“ Ich hätte die Frau knutschen können, denn ja das habe ich. Von 57 Kilo auf 53, womit ich jetzt wieder mein Ausgangsgewicht habe und mich pudelwohl fühle.. nur so am Rande… wo war ich? Ach ja: Wir saßen nun zusammen. Die Französin und die Amerikanerin sind bereits abgereist und der Junge, welcher in Kazan untergebracht ist war auch nicht da, so dass wir zu viert waren. Es ist viel passiert.
Ein Mädchen hat schrecklich zugenommen- bestimmt 7 Kilo! Sie hat übrigens die Gastfamilie gewechselt, da ihre Gasteltern sie gar nicht wollten und Sätze sagten wie: „Ich wünschte sie wäre in ihrem * piiep * Deutschland.“
Sophia spricht viel besser Russisch.
Clemens scheint sich mittlerweile völlig gegen Russland und seinen Austausch zu sträuben. Er spricht schlecht und kommt nicht aus sich raus. Allerdings scheint er auch eine weniger tolle Gastfamilie zu haben.
Katja fragte uns nun aus: Wie geht es euch? Kommt ihr zurecht? Was war schwer für euch? Was erwartet ihr vom restlichen Austauschjahr? Usw.
Fragen über Fragen. Mittlerweile führten wir das Gespräch auf Russisch, wobei einzelne Englische Vokabeln untergeschmuggelt wurden.
Katja ermunterte uns am Unterrichtsgeschehen teil zu nehmen und gute Noten zu schreiben. Ich bin wirklich die Einzigste, welche etwas für die Schule gemacht hat! Die Anderen beginnen erst jetzt zu lernen. Katja meinte, man solle sich eine Scheibe von mir Abschneiden und wiederholte die Lobeshymnen, welche meine Physik- und Biologielehrerin auf mich singen und nannte meine Noten. Ich grinste etwas verlegen.
Auf dem Weg zur Haltestelle unterhielten wir uns noch. Schrecklich, wie sehr mein Deutsch eingerostet ist! Über Skype zu reden oder Texte zu schreiben ist kein Problem, aber als ich mich unterhielt warf ich meinem Gesprächspartner einfache Wortgruppen hin oder quatschte einfach auf Russisch weiter.

Am Mittwoch sanken die Temperaturen auf –23 Grad ab. Wir hofften alle, es würden – 35 Grad werden, damit wir nicht mehr zur Schule gehen müssten.
Nach der Schule machte ich mich auf der Suche nach Kopfhörern für meinen IPod Shuffle. Das ist ein winziger IPod. Der ist so klein, dass die Knopfe zur Lautstärkeregulation ect. An den Kopfhörern angebracht sind. Also suchte ich nicht gewöhnliche Kopfhörer. Die verflixten Dinger scheint es hier nirgends zu geben- ich frage mich schon seit 2 Monaten durch Geschäfte. Verkaufsgespräch:
„Haben sie Kopfhörer für einen IPod Shuffle?“
„Für was?“
Ich hole die kaputten Kopfhörer raus und zeige sie.
„Nein. So etwas haben wir nicht. Wo haben sie die denn gekauft?“
„In Deutschland.“
Ein irritierter Blick folgt.
Genau so im Buchladen. Ich will mir ein Buch mit einem Hörbuch kaufen, um den ratschlag der Deutschlehrerin zu beherzigen und zu lesen und zu hören.
„Haben sie ein Buch mit CD zum Erlernen der russischen Sprache?“
„Hmpf. Russische Sprache? Nein. Wozu brauchen sie das denn?“
„Ich bin aus Deutschland und würde gerne..“
„Aus Deutschland! Nein wie interessant! Das merkt man gar nicht!“
Es tut jedes Mal verdammt gut, wenn man solches Feedback bekommt. Wobei einfache Gespräche mittlerweile wirklich kein Problem mehr für mich darstellen. Nur Sachverhalte erklären ect. Fällt mir noch schwer.

-25°C am Donnerstag. Dies hatte zur Folge, dass die Schüler der Grundschule keinen Unterricht hatten. Menno.
Zweite Stunde war Biologie. Es warteten Tee und Würstchen im Schlafrock auf mich und Vladimir. Die Biologielehrerin forderte mich hektisch dazu auf ordentlich zuzugreifen, denn schließlich sei sie selbst Mutter und da ich hier wäre und meine Mutter weit weg, wäre ich jetzt ihre Tochter und sie müsse sich jetzt um mich kümmern. Na klasse. Mache ich so einen hilfsbedürftigen Eindruck? Doch dann erklärte sie mir die Ursache für ihre Zuneigung zu meiner Person:
Ihr Vater war Deutscher. Ihre Schwester wohnt bei Dresden. Deshalb sei sie generell allen Deutschen sehr zugeneigt- außerdem sei sie selbst anders als die Anderen: ordentlich und pünktlich, so sagte sie. Hier Bilder des Vorbereitungskabinetts:


Zwischen Papierstapeln und Büchern herrscht hier noch wirkliche, deutsche Ordnung :D


Nach der Schule begleitete mich Sweta zum Zahnarzt, da Xjuscha mit Sascha verabredet war. Die Zahnärztin versiegelte noch einmal den Zahn und meinte ich solle noch einmal nächsten Dienstag vorbei kommen. Die sagte sie ungefähr folgender maßen:
„Kannst du nächste Woche Dienstag wieder kommen?“
Schweigen. Ich dachte: Haste Zeit oder nicht? Sie sieht mich an und bemerkt meinen denkenden Blick:
„Dienstag. D-i-e-n-s-t-a-g. Morgen ist Freitag. Danach Wochenende, dann Monat und dann D-i-e-n-s-t-a-g….“
„Jaja, ich weis doch, was Dienstag bedeutet. Ich überlege nur ob ich Zeit habe oder nicht“ Entgegnete ich mit einem grinsen.
„Oh! Du kannst wirklich sehr gut Russisch!“
Sweta konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkeifen.

Dascha ging am Freitag nicht in den Kindergarten, da das Thermometer –27°C anzeigte. Das Mütterchen blieb mit ihr im russischen Heim.

Am Samstag traf mich gleich zweimal der Schlag: Am Morgen betrug die Außentemperatur –30°C! Xjuscha und ich sind hart im nehmen und stapften zur Bushaltestelle. Dort sah ich mehrere Frauen im Rock – na ja mit knielangen Absatzstiefeln und Strumpfhosen kann man auch bei – 30 Grad einen Rock tragen…
Hier mal ein Foto von Xjuschas eingefrosteten Haaren.






Ein Vorteil hat die Kälte: Im Trolleybus sind Sitzplätze frei, da viele Schüler nicht zu Schule gehen (ab Temperaturen um –30 Grad entscheiden das die Eltern, bei jüngeren Kindern ab Temperaturen um –25°C). Übrigens habe ich seit mehr als 10 Tagen immer einen Sitzplatz im Trolleybus - ein Wunder!

In der Schule folgte Schlag Nummer zwei: ein Sportlehrer und eine Sportlehrerin waren angetrunken! Sie waren nicht besoffen- aber angetrunken! Man meinte zu mir, dass dies beim Sportlehrer in Kombination mit kalten Temperaturen durchaus vorkomme…. ob das ein sonderlich gutes Bild für „die Kommission“ gibt…?

In der Schule ist es übrigens auch nicht sonderlich warm. Ich bin froh mit vor einiger Zeit mal einen dicken, gestrickten Rollkragenpulli geleistet zu haben. Anton sprach mir heute aus der Seele, als in die Luft blies, kurz inne hielt und den Vorgang mit: „Gut, man kann den Atem noch nicht sehen!“ kommentierte. Mittlerweile sind die inneren Fenster der Doppelfenster mit einer leichten Eisblumenschicht überzogen.

Nach der Schule schneiten Xjuscha und ich noch bei einem Lebensmittelgeschäft vorbei, um Einkäufe zu erledigen. Dort sah ich ernsthaft Glühwein im Angebot! Beweisfotos:




Am Abend sagte der Wetterbericht bereits für Sonntag –10°C an. Und noch etwas anders: Könnt ihr euch noch an die Waldbrände im Sommer in Russland aufgrund der Hitze erinnern? Diese waren ca . 500 Kilometer von hier entfernt- zu Deutsch: Der Wetterbericht sagte voraus, dass sich Temperaturen von 40 Grad wiederholen könnten. Sascha kommentierte meine Befürchtungen eines erneuten Waldbrandes mit: „Und wenn schon- wenn dein Flugzeug abstürzt kannst du bei „Lost“ mitspielen…“ Zum Glück bin ich ein Freund des Sarkasmus…

Liebste, eisige Grüße

Lotte

Fazit: „Es gibt Vorteile, welche sich bewahrheiten (bezügl. Alkoholkonsum) und wieder die sich als nicht wahrheitsgemäß herausstellen (bezügl. Arzt).



PS.: Hier noch ein Bild von Jungs, welche in der Pause Egoshooterspiele auf den Computern des Computerkabinetts spielen...Sachen gibts...



Sonntag, 16. Januar 2011

Von alten Büchern und Münzen...

„Alles Gute zum Geburtstag!“ wünschten mir meine Gastmutter und Dascha am Dienstag. Beide waren erst Montagabend zurückgekehrt und nun umarmten sie mich freudestrahlend. Meine Gastmutter ist doch eher als respekteinflößende Person zu beschreiben. Zwar fröhlich und oft scherzend, aber sie weiß ihren Willen durchzusetzen. Vermutlich bemerke ich deshalb nur selten, dass sie kaum größer als Xjuscha (verbesserte Schreibweise) – also etwa einen halben Kopf kleiner als ich - ist. Niedlich. Den restlichen Tag klebte Dascha an meinem Rockzipfel und meinte immer wieder sie habe mich vermisst. Niedlicher.

Es ist schon etwas tragisch, ausgerechnet an seinem Geburtstag wieder zur Schule zu müssen. Zudem schien sich Keiner an meinen Freudentag zu erinnern - aber wen wundert das schon, denn schließlich waren meine ersten beiden Stunden Algebra und Geometrie. Nicht nur, dass ich von Natur aus eine gewisse Abneigung gegen Mathematik hege, nein, auch die Klasse und die Algebralehrerin sorgen dafür, dass ich Matheunterricht noch mehr verabscheue.
Auf dem Weg zum Physikklassenzimmer traf ich Mitschüler meiner Klasse. Als sie mich erkannten, rannten sie auf mich zu, umarmten mich und schrieen laut: „Alles Gute zum Geburtstag!“ Man beschenkte mich sogar mit Lidschatten, Schokolade und Büchern. Zu den Geschenken waren jeweils Glückwunschkarten beigelegt, welche mich, um ehrlich zu sein, mehr erfreuten, als das eigentliche Geschenk. So las ich unter anderem davon, wie sehr man sich darüber freue, dass ich hierher gekommen sei, und man mich nicht mehr zurück nach Deutschland lässt. So etwas zu lesen macht schon wahnsinnig froh!
Meiner Klassenlehrerin lief ich in der darauffolgenden Pause über den Weg. Sie strahlte mich an, beglückwünschte mich und beklebte meine Hand mit bunten Stickern. Anschließend schleifte sie mich vor meine Klasse und hielt eine Ansprache, dass heute mein Geburtstag sei und man mir jetzt gratulieren müsse. Da dies bereits auf freiwilliger Basis von allen erfolgt war, verkündete sie, dass nun gesungen werde: „Happy Birthday to you!“. Gefolgt wurde das Ständchen von einer kleinen Rede ihrerseits, in welcher sie etwa folgende Worte verlauten liess:
„Scharlotta, alles Gute zum Geburtstag! Ich wünsche dir Glück, Fröhlichkeit, viele Freunde, Gesundheit und Erfolge beim Erlernen der russischen Sprache. Wir sind froh, dass du hier bei uns bist. Es scheint, als seien alle Menschen in Deutschland gut und freundlich - zumindest wenn sie so sind wie du…“
An den genauen Wortlaut kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber der Sinn ist der selbe. Wie auch immer. Ich freute mich natürlich über die Worte und bedankte mich mehrfach.
In den übrigen Pausen lief mir noch eine Zehntklässlerin über den Weg:
„Hey! Du bist doch die Deutsche?“
„Ja - wieso?“
„Alles Gute zum Geburtstag!“
„Eh…Danke!“
Und damit war sie auch schon wieder verschwunden. Sonderbar, aber durchaus erfreulich.
Des weiteren kamen noch zwei Schülerinnen der 6. Klasse (meiner Russischklasse) auf mich zu:
„Wir gratulieren dir zum Geburtstag!“ Und überreichten mir eine Schachtel Schokopralinen - jeha!

Im russischen Heim angekommen, liess ich mir ein Stück meiner selbstgebackenen Scharlottka schmecken. Ja, ihr habt richtig gelesen: Ich habe Scharlottka selbst gebacken. Und das witzige dabei ist, dass meine Gastmutter und die „Oma“ total begeistert waren über die fluffige Konsistenz des Apfelkuchens und unbedingt wissen wollten, was ich gemacht habe, da diese Konsistenz nur sehr schwer hinzubekommen sei und nur den wenigsten gelinge. Aber das verrat' ich natürlich nicht - hihi.
Nach dem Verzehr meines Quasigeburtstagskuchens, ging ich in Xjuschas und mein Zimmer. Auf meinem Laptop lag ein Paket. Xjoschas Geburtstagsgeschenk an mich. Ich öffnete es und fand darin ein paar wundervolle Ohrringe. Gelobt sei der Modegeschmack meiner Gastschwester! Ich legte die Ohrringe zurück und umarmte meine Gastschwester fast stürmisch - aber nur fast, da ich etwas Angst hatte sie könnte mir zerbrechen (sie ist wirklich schrecklich dünn).

Abends holten meine Gastmutter und ich ENDLICH mein Paket ab. Meine Gastmutter war von uns eingeweiht worden, dass wir erzählt hatten, sie komme erst in 1 ½ Monaten wieder und sie spielte ihre Rolle wirklich gut. Als wir endlich an der Reihe waren, fragte man sie verwundert, warum sie so früh hier sei. Sie antwortete mit wichtiger Miene, dass sie extra aus Murmansk hergekommen sei, nur damit man „dem Kind“ endlich das Paket seiner Eltern gäbe. Ha! Das hat gesessen. Der Gesichtsausdruck der Zuständigen wurde etwas weicher und fast entschuldigend. Sie überprüfte die Identität meiner Gastmutter und holte anschließend einen großen, verschlossenen Plastiksack aus einem anderen Zimmer. Man hatte mir bereits vorher erklärt, dass man besonders große Pakete noch einmal in solchen Säcken verpacke, um Diebstahl zu verhindern. Sie zerschnitten den Sack und wogen das Paket, um zu überprüfen, ob es immer noch 10 Kilo waren. Alles paletti. Man händigte uns das Paket aus, wir packten es auf einen Schlitten und kutschten es zur Wohnung.

Ich öffnete mein Weihnachts-/ Geburtstagsgruß aus meiner Heimat. Zunächst verteilte ich die Geschenke. Eine neue Pfanne für meine Gastmutter, da sie sich immer über das alte Bratgerät aufgeregt hat. Sie schien sehr verblüfft zu sein - seit jenem Tag fantasiert sie, was man nicht alles in der neuen Pfanne zubereiten könne, aber bisher ist sie unbenutzt.
Xjuscha bekam T-Shirts aus H&M. Dieses Geschäft scheint es in Russland nur 3 mal zu geben (2 in St. Petersburg, 1 in Moskau), umso mehr wünscht sich hier jedes Mädchen Kleidung aus besagtem Modeladen, welchen es bei uns an jeder Straßenecke zu geben scheint.
Dascha bekam Fingerpuppen, welche sie quietschend in Empfang nahm.
Des weiteren befand sich in dem Paket noch jede Menge Naschzeug, wie Weihnachtsgebäck, Gummibärchen und Milkaschokolade. Gummibärchen habe ich hier übrigens noch nicht gesehen.
Auch warme Socken, der selbstgemachte Kalender meiner Mutter, jeweils ein Schreiben meiner Großeltern und meiner Eltern und das beste Geburtstagsgeschenk, welches ich jemals bekommen habe. Meine Schwester schickte ein kleines Album. Auf jeder Seite befindet sich ein Bild einer meiner Freunde und ein selbstverfasster Gruß von besagtem Freund. Ich war überrascht, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Wunderbar!
Also fassen wir, den Empfang des Paketes, zusammen: Danke! Ich hab euch lieb! Auch meine Gastfamilie lässt tausend Dank ausrichten.
Anschließen skypte ich mit meiner Familie - diesmal mit meinen Eltern, meinen Großeltern mütterlicherseits, meiner Schwester und ein paar Freunden, welche Therry eingeladen hatte. Das Internet ist wirklich schrecklich nervig. Immer wieder bricht die Verbindung ab, so dass wir beschlossen, später über Skype zu telefonieren. Inzwischen war auch die „Oma“ und ihr Lebensgefährte eingetrudelt. Wir aßen gemeinsam. Man sprach wieder Reihum seine Geburtstagswünsche aus - wiedereinmal wunderbar zu hören, dass man mich gern um sich hat. In dem Sinne: Prost!
Anschließend quatschte ich noch lange mit meiner Schwester über Skype, bevor ich glücklich zu Bett ging.

Es ist schon fast schrecklich, wie schnell die Zeit verfliegt.
Am Mittwoch verließ die Amerikanerin Cheboksary in Richtung Heimat. Gerade mal 4 Monate war sie hier gewesen und es schien, als sei man erleichtert über ihre Abreise. Jedenfalls unterhielt ich mich mit meiner Englischlehrerin (YFU- Freiwilligen) und diese konnte ihre Erleichterung gar nicht in Worte fassen. Sie meinte, dass sie sehr froh sei, dass ich ein Jahr bleibe und nicht die Amerikanerin. Sie meinte mit Amerikanern scheine es – egal über welche Austauschorganisation- immer Stress zu geben.

Auch an diesem Abend war die „Oma“ bei uns zu Besuch. Sie hatte den Tag meines Geburtstags verwechselt, weshalb sie gestern erst angefangnen hatte Pirogen zu backen, was zur Folge hatte, dass sie am Mittwoch erst fertig waren. Wir feierten meinen Geburtstag ein zweites Mal. Meine Gastmutter schaltete die Stereoanlage ein und meinte: „So jetzt wird getanzt!“ Dascha ließ sich das nicht zweimal sagen und hüpfte fröhlich drauflos. Ich muss zugeben, es ist etwas gruselig, wie sehr mich Dascha an mein Kleinkindalter erinnert und noch gruseliger ist, dass Xjuscha ein bisschen meiner Schwester gleicht.
Während der Tanzrunde beschloss meine Gastmutter noch einen Reigen aufzuführen, welcher hier an Namens- bzw. Geburtstagen aufgeführt wird. Das Geburtstagskind wird in die Mitte gestellt. Alle Anderen fassen sich an den Händen, gehen im Kreis um das Geburtstagskind und singen:

„An Charlottes Geburtstag
Haben wir einen Laib gebacken:
So ein Hoher (man nimmt die Arme nach oben)
So ein Tiefer (bückt sich nach unten)
So ein Breiter (vergrößert den Kreis)
So ein Schmaler (tritt bis an das Geburtstagskind heran)
Laib, Laib, wähle aus wen du liebst.“ (der im Kreis Stehende fordert eine andere Person auf den Kreis zu betreten)

Übersetzt klingt es etwas merkwürdig aber „Laib“ ist „karawai“ auf Russisch und wähle aus „wuibirai“, womit die letzte Strophe heißt:
„Karawai, karawai, kowo ljubisch wuibirai!“ Es gibt also einen Reim und hört sich nicht seltsam an.

Am Freitag lud die Musiklehrerin Xjuscha und mich ein, gegen 14 Uhr das Musikkabinett aufzusuchen. Wir hatten keine Ahnung was uns erwartet. Kurz zusammengefasst: Xjuscha und ich machen jetzt beim Konzert zum „Tag der Offenen Tür“ der Schule mit - und dass obwohl wir gar nicht singen können…na klasse…
Um 15 Uhr war ich mit Natascha am Kino verabredet. Wir sahen „The Tourist“ – den neuen Film mit Johnny Depp und Angelina Jolie. Super Film! Ich find´s wirklich prima, dass ich mittlerweile viel verstehe.

Am Samstag, nach der Schule, besuchten wir Xjuschas Vater. Wir plauderten über dies uns das, bis er mich schließlich fragte ob ich mir ein altes Kirchenbuch ansehen wolle. Ich stimmte zu und war überwältigt - das tatsächliche Alter des Buches kenne ich nicht:

Der Buchdeckel


So dick, wie eine Handbreite.



Das Buch ist übrigens nicht in Latein verfasst, sondern in einer Art "Altrussisch", welches man heute kaum noch lesen/ verstehen kann- in etwa wie unser Altdeutsch.


Danach holte er noch eine alte Münzensammlung hervor. Rubel aus der alten Sowjetunion. Ca. 3cm Durchmesser und nicht gerade die Leichtesten - viel davon kann man nicht mit sich herumgetragen haben. Sehr faszinierende Münzen. Sie sind wie kleine Bilder. Auf einigen ist Lenin, Marx, Engels oder Puschkin abgebildet. Auch St. Petersburg oder der Rote Platz sind auf den Geldstücken abgebildet. Ich musste schmunzeln, als ich an die kleine, leichte Ostmark dachte.
Er fragte mich:
„Scharlotta, magst du Puschkin?“
„Ja.“ (alles andere sollte man in Russland sowieso nicht sagen, denn dieses Volk besitzt einen gewissen Stolz bezüglich dieser Persönlichkeit)
Er grinste und schenkte mir eine Münze, auf welcher der Kopf Puschkins abgebildet ist. Ich bedankte mich und muss zugeben, dass – obwohl ich mich sonst gar nicht für Münzen interessiere- mich dieses Geschenk wirklich erfreut.




Meine Einrubelmünze aus dem Jahr 1984.





"CCCP" wird "SSSR" ausgesprochen und bedeutet übersetzt Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.





Noch eine Antwort auf eine Leserfrage:

„Wie viel kostet Benzin?“

Der Liter Benzin kostet zwischen 20 und 30 Rubel. Umgerechnet also 50/ 75 Cent.


Fazit: „Hilfe…oder juhu?! In einem Jahr bin ich volljährig!“

Liebste Grüße von eurer glücklichen Lotte


PS.: Hier noch ein Anhang zum Thema Post. Ich habe noch zwei Briefe bekommen. Einen Brief meiner Großeltern mütterlicherseits und einen von einer Freundin- vielen Dank. Übrigens scheint ein Brief zwischen zwei und vier Wochen- selbst mit Luftpost- unterwegs zu sein.
Hier noch ein paar Bilder:






Der Brief, welchen ich an meine Eltern sendete. Aufgrund etwas unfähiger Postfrau kleben nun 11 Briefmarken drauf statt üblichen 4.





Postauto

Und noch ein besonderer Gruß an meine Tante, welche am 13.1. Geburtstag hatte- Alles Gute nachträglich! :)

Sonntag, 9. Januar 2011

Zeitreise

Die ersten Tage des neuen Jahres fingen schon mal super an. Wir sahen jede Menge Filme, welche sich im Besitz von Ksjoschas Bruder befinden. Ansonsten taten wir nichts - außer lange, wirklich lange, schlafen. Endlich bis in die Mittagsstundenden schlummern. Jaja, Daschas Abwesenheit hat durchaus ihre Vorteile.
Mittlerweile habe ich den Entschluss gefasst, einen Monat zu fasten. Eigentlich wollte ich am 1.1. beginnen, aber da wir vorübergehend bei Ksjoschas Vater eingezogen sind und ich die Gastfreundschaft durch „Extrawürste“ in Sachen Essenszubereitung nicht überstrapazieren wollte, habe ich beschlossen, erst an dem Tag zu beginnen, an welchem wir wieder in unser russisches Heim zurückkehren werden. Einen Monat werde ich auf Fleisch, Eier und Süßes verzichten. Warum ich mir das antue? 3 Kilo mehr auf der Waage ist die Antwort. Das macht pro Monat meiner Anwesenheit in Russland fast 1 Kilo mehr! Den Vorgang gilt es zu stoppen. – Ich weiß jetzt schon, dass meine Gastmutter verständnislos die Hände über dem Kopf zusammen schlagen wird, aber da lasse ich mir noch etwas einfallen.

Am 6. Januar war hier Heilig Abend. Am 7. Januar begeht man Weihnachten mit einem Kirchenbesuch.
An besagtem 6. Januar kam Ksjoschas Vater in unser Zimmer, in welchem wir die meiste Zeit des Tages verbrachten und Filme ansahen. Er sagte:
„Scharlotta, kommst du mit ins Dorf?“
Viele Fragen. Was für ein Dorf? Wozu?
Wenn man hier vom „Dorf“ spricht stelle ich mir immer ein kleines, russisches Dorf aus einem Märchenfilm vor.
„Welches Dorf? Wozu? Fragte ich.
„Wir fahren zu meinem Bruder und feiern Weihnachten. Das Dorf heiß „Sjenjale - Kotjaki“ (tschuwaschischen Ursprungs)
„Klar komm' ich mit!“
Ich würde mir doch nicht entgehen lassen, ein russisches Dorf und eine Weihnachtsfeier zu erleben.
5 Minuten später kam er wieder ins Zimmer und sagte mit etwas unglücklicher Miene:
„Wir haben nicht gezählt. Oma, meine Frau, Jana, Ksjoscha, ich und du. So viele Leute passen nicht ins Auto - na ja - da müssen wir mal sehen, wie wir das machen.“
Eine Viertelstunde später saß ich auf dem Beifahrersitz. Die Rückbank teilten sich die Gutmütige (andere Oma Ksjoschas) mit Ksjoscha und Jana saß auf dem Schoß ihrer Mutter. Aber hey - das ist nichts, was nicht auch in Deutschland vorkommen würde.
Die Straße war ganz passabel, nur ein paar Schlaglöcher und Unebenheiten hier und da. Das Autoradio spielte die russischen Charts. Ein Lied gleicht dem anderen - meist handeln sie von Liebe, Herzschmerz und Rache oder Kummerertränkung. Aber für eine etwas holprige Autofahrt, durch Wald über verschneite Felder und dem heranbrechenden Sonnenuntergang, hätte es, in dem Moment, keine bessere Hintergrundmusik geben können.

Hier Fotos der Fahrt:


Nach ca. einer dreiviertel Stunde waren wir am Ziel. Es war bereits dunkel. Ich stieg aus und sah mich um. Ein breites Grinsen zierte nun mein Gesicht, denn was ich erblickte war: ein Brunnen. Ein funktionsfähiger, mit Eimerchen ausgerüsteter Brunnen. Hier ein Bild:


Ich sah mich weiter um: Da gab es eine Straße, welche links und recht von Schneehaufen gesäumt war. Und dann waren da noch Häuschen. Kleine, niedliche, teilweise bunt bemalte Häuschen. Schon jetzt fühlte ich mich, als hätte jemand die Zeit zurück gedreht. Das Brettertor wurde geöffnet und wir herzlichst begrüßt. Hier kannte man mich ja noch nicht - völlig egal - ich wurde sofort wärmstens aufgenommen.

Wir betraten das Haus, was zur Folge hatte, dass mein glückliches Grinsen sich bis zu meinen Ohren dehnte.
Wir standen zunächst im Vorraum, welchen ihr auf diesem Bild sehen könnt
:



Anschließend betraten wir die Stube. Auf diesem Bild sichtbar:


Hier soll einst ein alter Backofen gestanden haben - zu schade, dass man ihn entfernt hat.

Das ganze Haus bestand nur aus der Stube, einem Schlafzimmer und einer Küche. Gekrönt wurde mein Gefühl, sich in einer Zeitschleife zu befinden, von einem russischen Mütterchen, welches im Sessel saß und strickte.

Zwar nicht stickend, aber jetzt wisst ihr, was ich mit "ein russisches Mütterchen" meine:


Man gab uns selbstgehäkelte Hausschuhe:
Cool oder?


Ksjoschas Vater beschloss schließlich, sich mit uns alte Fotos ansehen zu wollen, doch anstatt eines Albums holte er einen Plastikbeutel, prall gefüllt mit unsortierten, unbeschrifteten Fotos aus dem Schrank. Super Bilder! Menschen, welche auf dem Dorfplatz tanzen, während ein Mann auf einem Schifferklavier spielt usw. Eben wie ich mir das russische Völkchen, des vergangenen Jahrhunderts, vorgestellt hatte - das es wirklich so war ist fast zu schön um wahr zu sein. Die Gutmütige erzählte zu den Bildern. Sie ist übrigens die einzige die wirklich permanent mit mir spricht, wenn wir uns sehen (abgesehen von Ksjoscha natürlich).

Die Gutmütige beim Ansehen der Fotos; ungeordnete Erinnerungen...

Wie im Märchen, oder? :)

Ein Tisch wurde in der Stube aufgestellt und mit Speisen bedeckt. Ksjoscha und ich gingen in die Küche, um uns die Hände zu waschen, da wir den superdicken Hauskater gestreichelt hatten.


Beiweisfoto des dicken Tierchens

Als ich die Küche betrat, war es um mich geschehen. Ich strahlte wie ein kleines Mädchen, was endlich sein gewünschtes Weihnachtsgeschenk in den Händen hält.
Eine winzige Küche - ach ich zeig' euch lieber gleich Bilder, den Anblick will ich euch nicht vorenthalten:
Leider sind die Bilder schwarz-weiss, da Ksjoscha sie gemacht hat und da sie schwarz-weiss Fotos liebt, fotografiert sie ausschließlich auf diese Art und Weise - zu spät mitbekommen.


Wir aßen hausgemachte Pelmeni. Nach und nach betraten weitere Familienmitglieder die Stube. Man fragte mich die üblichen Fragen und war anschließend fest davon überzeugt, dass ich fließend russisch könne - leider ist das nicht der Fall. Und selbst wenn es der Fall wäre, hätte es mir in der russischen Isba (Bezeichnung des Hauses) nicht weitergeholfen, da man sich hier untereinander auf tschuwaschisch unterhält.
Ein vermutlich 50 jähriger Mann unterhielt sich mit mir. Er war in der DDR stationiert gewesen und konnte noch ein paar Brocken Deutsch - diese Art von Gesprächen führe ich hier öfter. Er meinte, er liebe Deutschland und deutsche Straßen. Er sei weit gereist und selbst in Afrika hätte man bessere Straßen, als in Russland, fürchte er. Er verabschiedete sich mit einem Handkuss und meinte es wäre sehr angenehm gewesen, mich kennen gelernt zu haben. Ich erwiederte seine Worte höflichkeitsgemäß mit „gleichfalls“. Dies und die Tatsache, dass unser vorhergehendes Gespräch auf russisch stattgefunden hatte, führte dazu, dass er erstaunt guckte und sagte: „Sie spricht russisch, wie…wie tschuwaschisch.“ Dieser Aussage können zwei Bedeutungen zugeordnet werden: Entweder meinte er ich spräche so gut, wie eine Einheimische, oder ich habe einen furchtbaren Akzent, denn Muttersprachler der tschuwaschischen Sprache haben meist einen starken Akzent, wenn sie russisch sprechen (so sagte man mir).
Während des Essens lief natürlich wieder der Fernseher und es wurde getrunken - zu Weihnachten! Mittlerweile kann ich einen Angetrunkenen innerhalb von Sekunden ausmachen - auch ohne dass diese Person spricht.
Nach dem Essen fragte mich die Frau des Hauses, ob ich mir mal die Lämmer ansehen will. Ich willigte ein. Man gab Ksjoscha und mir Arbeitsjacken und Valenki, damit wir uns unsere Kleidung nicht einsauten. Valenki sind altrussische Winterstiefel aus Schafsfell. Sehen etwas plump aus, aber sind absolut wasserfest und warm. Natürlich will ich euch meinen Anblick nicht vorenthalten:


Als Sascha das Foto sah, kommentiert er es mit: „Ein echtes russisches Weib!“

Wir betraten den Stall. Die Wände waren mit Frost überzogen, was dazu führte, dass der gesamte Stall glitzerte. Wunderschön! Man drückte mir ein Lämmchen in die Arme – hier ein Foto:


Der Hund, welcher seine Hundehütte auf dem Platz zwischen Haus und Stall hat (so ähnlich wie ein Dreiseitenhof - nur etwas niedlicher), begrüßte uns, als wir wieder aus dem Stall kamen. Ksjoscha zeigte mir anschließend was eine Banja ist. Dazu stapften wir über das Grundstück und blieben an einem Häuschen, aus welchem starker Nebel/ Rauch austrat, stehen. Wir betraten das Häuschen. Man kann sich das wie eine Art Sauna vorstellen. Es gibt zwei Räume. In einem steht ein Ofen und heizt - dort ist der heißeste Platz um zu „banieren“ (saunieren wäre in diesem Falle nicht richtig). Durch eine Tür abgetrennt gibt es einen zweiten Raum, in welchem es nicht ganz so heiß ist.
In einer Banja ist die Luft erfüllt vom Holzrauch - ziemlich stickig. Nach dem „banieren“ wäscht man sich oder wirft sich vorzugsweise in den Schnee. Die Menschen hier liebem Banja und banieren so oft wie es ihnen möglich ist. Ich hatte weder Handtuch, noch Waschzeug dabei… und ich verspürte keinen sonderlich großen Wunsch mir den Raum mit nackten, fremden Frauen zu teilen (ja Papa ich weiß, dass du an dieser Stelle die Hände über dem Kopf zusammen schlagen wirst und dich fragen wirst, was um alles in der Welt du an meiner Erziehung falsch gemacht hast, dass ich so prüde geworden bin). Aber nächstes mal (ich wurde eingeladen noch mal im Sommer vorbei zu schauen) mache ich es 100%ig.

Kurz vor neun Uhr machten wir uns auf die Rückfahrt. Ksjoschas Vater setzte uns gleich am russischen Heim ab, denn endlich war Ksjoscha Bruder mit seinem Kumpel verreist, womit meine Gastschwester und ich endlich wieder den Luxus des Alleinleibens genießen konnten.

Hier noch ein paar Bilder des Märchens:


Das Banjahäuschen:




Das verschneite Örtchen...




Milchtröge :D




Eingeschneit...



Ksjoscha sitzt auf dem Sofa. Die Tür ist klasse oder?



Am 7. Januar machten wir uns auf den Weg zur Post. Mein Geburtstags- und Weihnachtsgeschenkpaket von meiner Familie ist endlich angekommen. Doch als wir an der Post waren, hatte sie geschlossen, denn schließlich war am 7. Weihnachten- damit hätten wir rechnen sollen.

Paketabholversuch der 2.: Einen Tag später stiefelten Ksjoscha und ich wieder los. Ich hatte Visa, Ausweis und den Zettel, dass das Paket abzuholen sei, eingepackt. Wir redeten mit der Frau am Schalter. Einziges Problem: Das Paket war auf meine Gastmutter ausgestellt und dieses mal schienen meine Eltern nicht noch zusätzlich meinen Namen draufgeschrieben zu haben - wir gingen wieder.

Paketabholversuch der 3. : Wir standen 5 Minuten in der Post und beratschlagten uns. So schnell würden wir nicht aufgeben, denn schließlich würde meine Gastmutter erst am 11.1. wieder kommen und bis dahin wollte ich mein Paket bereits haben.
Wir gingen also wieder zu der Frau. Sie sah uns und schickte gleich eine andere Zuständige hin. Wir flunkerten, dass meine Gastmutter erst in 1,5 Monaten wieder komme und wir nicht wollen, dass das Paket zurück gesendet wird. Doch selbst als wir auf die Tränendrüse drückten mit: „Das sind Neujahrsgeschenke“ und „ich habe meine Familie zu Neujahr nicht gesehen und jetzt will ich doch nur die Nachricht von ihnen abholen…“ Es half nichts. Wir gingen.

Paketabholversuch der 4. : Wieder auf der Straße hatte ich die Faxen dicke: Es muss doch möglich sein mein Paket abzuholen. Entschlossen stiefelte ich zurück. Ich textete die Frau am Schalter zu, dass es doch möglich sein müsse das Paket meiner Eltern abzuholen. Ein Paket aus Deutschland - ich bin Deutsche. Ich schlug sogar vor den gesamten Absender zu nennen, denn schließlich weiß ich, wie meine Eltern heißen und wo sie wohnen. Mittlerweile hatte man eine dritte Zuständige zu uns geschickt. Sie meinte, es sei zwecklos. In Moskau sei das Paket noch einmal verpackt worden, um so vor unbefugter Öffnung zu schützen. Ergo: Absender nicht erkennbar. Alle drei Frauen vertrösteten uns mit dem selben gekünstelten Gesichtsausdruck: „Nur dem, auf dem Paket erwähnten Empfänger können wir das Paket aushändigen.“ Aaarrrg! mittlerweile wäre ich dem Schaltertantchen fast an die Gurgel gesprungen.

Paketabholversuch der 5. : Zurück im russischen Heim kam Ksjoscha und ich die glänzende Idee, dass wir einfach Dokumente ihrer Mutter vorweisen und somit u.a. bestätigen, dass Ksjoscha ihre Tochter ist. Diesmal kam sogar Sascha mit.
Wieder in der Post. Sascha redete wie ein Weltmeister - zunächst bittend, dann fordernd. Er meinte, sie könne doch in die Empfangspapiere hineinschreiben, dass meine Gastmutter das Paket abgeholt hätte und nicht das wir es abgeholt hätten – wo sei denn da das Problem? Meine Gastmutter würde nicht zur Poststelle fahren und einen Aufstand machen, weil das Tantchen mir mein Paket ausgehändigt hat! Doch auch das liess sie kalt. Herrgott noch mal! (ich bitte um Verzeihung) In ganz Russland ist Korruption an der Tagesordnung - das liest man hier jeden Tag in der Zeitung. Und nur, wenn ich ein Paket abholen will…
Erfolglos machten wir uns auf den Rückweg. Wir müssen wohl warten, bis meine Gastmutter mein Paket abholt…

Die Ferien so allein zu verbringen ist super. Dascha stresst nicht und meine Gastmutter fordert nicht, dass ich mehr essen soll. Sascha besucht uns ab und zu – ansonsten machen wir was mit anderen Freunden. Mittlerweile sehen Ksjoscha und ich jeden Abend einen Film gemeinsam an - ein hipp hipp hurra auf das große Filmrepertoire ihres Bruders.
Aber für Ksjoscha sind die Ferien nicht ganz so entspannt. So musste sie am 4. und 5. in die Schule, da einige Lehrer Extraunterrichtsstunden gaben, um den Schülern Unverständliches besser zu vermitteln. Das ist hier üblich. Meist findet die „beliebige Stunde“ vor der ersten Unterrichtsstunde oder am Nachmittag statt- aber auch nur, wenn es Bedarf dafür gibt. Gar nicht so schlecht, wie ich finde. So etwas scheint es in Deutschland nicht zu geben.


Soo. An dieser Stelle möchte ich mir noch erlauben auf einige Leserfragen einzugehen:


Wieviel kostet ein Brot?

Ein Brot kostet zwischen 10 und 30 Rubel. Das macht umgerechnet 25 und 75 Cent. Übrigens habe ich hier noch keinen Bäcker gesehen. Brot scheint es hier nur abgepackt und unknusprig im Supermarkt zu geben


Was ist mit Schenja?
Schenja ist nach Wolgograd gefahren und kommt in einem Monat wieder.


Wieso ist Charlotte plötzlich in der 7. Klasse?
Ich habe einen eigenen Stundenplan:

Algebra und Geometrie in der 7. Klasse
Russisch in der 6. Klasse
Englisch in der 10. Klasse
Physik, Literatur, Geografie, Englisch (noch einmal), Biologie, Geschichte in der 9. Klasse


Kann Charlotte Tolstoi schon im Originaltext versehen?

Ja, Charlotte kann. Natürlich gibt es Worte, welche ich nicht kenne, aber der Sinn des Textes ist verständlich. Aber ich lerne Russisch seit der 6. Klasse und das Buch, welches ich lese ist ein Kinderbuch.

Weitere Fragen können gern gestellt werden - schreibt sie einfach als Kommentar zu meinem Text. :)


Fazit: „Ein russisches Dorf sieht auch heute noch aus, wie aus einem alten Märchenfilm.“


Hier noch ein besonderer Gruß an meinen Cousin, welcher am 7.1. Geburtstag hatte. Ich wünsche dir noch nachträglich alles Gute
.

Montag, 3. Januar 2011

der Umzug

31.12.2010. Neujahrsfest in Russland. Endlich: Tannenbaum, Geschenke, Feuerwerk …
Ksjoscha weckte mich um Mitternacht. Sie grinste und sagte: „Gratuliere dir zum Neujahr!“ drückte mir eine Tüte in die Hand. Ich bedankte mich und überreichte ihr mein Geschenk (ein Gürtel, welchen sie sich gewünscht hatte, und eine Grußkarte, in welcher ich mich u.a. für ihre Hilfe bedankte).
Ich öffnete die Tüte. Darin befanden sich Ohrringe und ein Ring- beides hatte ich mir gewünscht. Des Weiteren enthielt die Tüte noch eine Grußkarte, welche überschrieben war mit „Für eine Schwester“. Ein wunderbarer Start in einen Tag.
Um 8:30 stand ich dann auf- das war eher weniger wunderbar, wenn man bedenkt, dass dies der erste Ferientag war. Aber schließlich mussten wir noch Sachen packen, bevor Ksjoschas Bruder die Wohnung gegen 10 für sich beanspruchen würde.
Nachdem wir unsere sieben Sachen gepackt hatten, schaltete ich den Fernseher ein. Es kam ein russischer Trickfilm „Prostokwaschino“ (der Name eines Dorfes). Diesen Film habe ich bereits im Russischunterricht in Deutschland gesehen- und nichts verstanden. Diesmal sah ich den Film und verstand! Ich hatte seit einiger Zeit das Gefühl, dass ich keinerlei Fortschritte mehr mache, weshalb der Beweis des Gegenteils, durch besagten Trickfilm, mich etwas beruhigte.

Mit Sack und Pack zogen wir nun bei Ksjoschas Vater ein. Eine drei Zimmer Wohnung im Erdgeschoss ist nun für einige Tage unser neues Heim. Im Wohnzimmer schläft Jana, die Tochter der Frau von Ksjoschas Vater. Dort schläft nun auch Ksjoscha. Ich schlafe im Zimmer, welches Ksjoschas Bruder gehört- aber der wohnt ja zur Zeit im russischen Heim. Ungewohnt, nachts allein in einem Zimmer zu schlafen- ein Luxus, welchen ich seit 4 Monaten nicht mehr genossen habe.
Viel Zeit, um uns häuslich einzurichten hatten wir nicht, denn wir waren zu Nastjas Geburtstagsfeier eingeladen worden. Sie feierte im selben Restaurant, in welchem auch Lisa bereits ihren Geburtstag gefeiert hatte. Ksjoscha und ich schenkten ihr eine Kette, was sie offenbar sehr freute. Anschließend genossen wir usbekische Küche, quatschten und lachten viel- eben ein Geburtstagsessen.
Hier ein Foto der Innenausrichtung des Rastaurants- der Vorstellung halber.

Anschließend gingen wir zu Ksjoschas Omas, um ihnen zum Neujahrsfest zu gratulieren. Danach aßen wir mit der Familie von Ksjoschas Vater - natürlich lief der Fernseher nebenbei. Es war insgesamt eine gemütliche Atmosphäre- wenn auch anders, als erwartet. Ich dachte, man beschenke sich und im Zimmer stünde eine Tanne. Aber weder bei den Großeltern, noch bei Ksjoschas Vater stand besagter Neujahrsbaum. Geschenke verschenkten auch nur Ksjoscha und ich (Schokolade). Ansonsten bekam Ksjoscha etwas Geld. Also bei weitem nicht mit dem Geschenke- und Dekorationsstress zu vergleichen, welchen wir uns zu Weihnachten machen.
Gegen 10 Uhr machten wir uns auf den Weg zu Sascha, denn dort würden wir ins Neujahr reinfeiern- also „feiern“ - wir aßen zusammen mit Saschas Eltern.
Bei Festessen scheint es hier immer das selbe zu geben: Hühnchen, Pizza, zwei verschiedene Salate, welche mindestens zu 20% aus Mayo bestehen, Kartoffeln, Pirogen, Sahnetorte aus dem Supermarkt und Suppe. Das gab es hier bei jeder Feierlichkeit- langsam kommt es selbst mir zu den Ohren raus. Zumal man immer von allem etwas essen muss- wenn man ablehnt und sagt man sei satt, so wird mindestens 5 mal nachgefragt, warum man nicht essen und ob es einem gut gehe.
Sascha schenkte mir eine Märchensammlung von Lew Tolstoi- auch etwas, was ich mir gewünscht hatte. Jeha! Mein erstes, eigenes, russisches Buch!
Wir sahen also das Neujahrs Programm im Fernsehen. Genau solche sinnlosen Spaßsendungen, welche bei uns kommen- nur den 90. Geburtstag vom Ms. Sophie habe ich diesmal missen müssen. Kurz vor Zwölf sahen wir die kurze Neujahrsansprache von Präsident Medwedew und ich verstand sogar fast alles. :)Punkt Zwölf wurde die Tannenbeleuchtung eingeschaltet. Der erste Anblick eines geschmückten Tannenbaumes in diesem Jahr. Dennoch muss man hier zwischen Neujahrs- und Weihnachtsbaum unterscheiden, denn ein Weihnachtsbaum ist – zumindest aus meiner Sicht - schöner. Die Neujahrstanne bei Sascha war eine Plastiktanne und gänzlich mit Schmuck überladen - aber das scheint man hier immer so zu machen, wenn ich an die geschmückten Tannen in meiner Schule denke (ebenfalls für euch schon fotografiert und im vorletzten Blogeintrag zu sehen).
Ein paar Feuerwerke waren zu sehen- aber es ist bei weitem nicht mit der Knallerei an Silvester in Deutschland zu vergleichen.
Insgesamt fand ich das Neujahrsfest enttäuschend- wenigstens für „die Ausländerin“ hätten sie sich Mühe geben können…
Neujahrstanne

Samstag und Sonntag verbrachten Ksjoscha jede Menge Serien anzusehen, welche ihr Bruder auf seinem Rechner hat. Hör-/Verständnistraining vom Feinsten!

Ich wünsche euch- wenn auch etwas verspätet- ein frohes, gesundes Jahr 2011!

Lotte

Erleuchtete Neujahrstanne

Fazit: „Auch wenn man hier häufig sagt: Anstelle des Neujahrsfest feiert ihr Weihnachten, so ist das nicht das selbe. Denn wenn man sich hier nicht beschenkt an Neujahr, so ist es ein schlichtes Silvester- und Silvester würde niemand mit Weihnachten vergleichen. Man merkt schon allein daran, dass man hier unter Neujahr etwas anderes versteht, als wir unter Weihnachten, da man mich hier häufiger fragt: „Wird zu Weihnachten getrunken?“ Das lasse ich mal unkommentiert…“

Samstag, 1. Januar 2011

Fröhliche Weihnacht überall!

„Es ist Weihnachten!“ Das war mein erster Gedanke, als ich am Morgen des 24. Dezembers schlagartig, senkrecht und grinsend in meinem Bett saß.
In der Küche sprang mir Dascha fröhlich um den Hals: „Heute kommt Väterchen Frost in meinen Kindergarten!“ Ich fragte lieber gar nicht erst, warum Väterchen Frost, welcher doch eigentlich erst am 31. die hiesigem Kinderaugen zum leuchten bringt, ausgerechnet am 24. bereits Geschenke verteilen würde. Übrigens ist der Einfluss der „westlichen Welt“ hier sehr groß. In Russland feiert man eigentlich am 7.1. Weihnachten - und das auch nur mit einem Kirchenbesuch… also eigentlich feiert man Weihnachten gar nicht (laut Ksjoscha). Aber dennoch gibt es Grußkarten und Dekorationsartikel, welche mit „Merry Christmas“ beschriftet sind zu kaufen (und werden auch gekauft). Egal mit wem ich mich unterhalten habe: jeder scheint hier vom Weihnachtsfest zu träumen…Geschenken unter einem erstrahlenden Weihnachtsbaum…Plätzchen backen…Weihnachtsmarkt...usw. . Nun ja, Einfluss hin oder her: für mich war heute jedenfalls kein normaler Tag! Allerdings war hier für alle anderen ein stink normaler Tag, was zur Folge hatte, dass ich mich, das erste mal an einem 24. Dezember, auf den Weg zur Schule machte- na wenigstens ergatterte ich einen Sitzplatz.
In Russisch kam dann die entgültige Einsicht meinerseits, welch gewöhnlicher Tag doch ein 24.12. hier ist:
Lehrerin: „Kinder…welches Datum haben wir doch gleich? 24.? 25.?“
Ernüchterung- dennoch mein Frohsinn ungetrübt.
In der Pause lockte mich Kindergesang in die zweite Etage der Schule. Die Grundschulklassen sangen Weihnachtslieder- zwar englische - aber immerhin. Da stand ich nun 10 Minuten und sah gebannt auf die Kinder, welche mir etwas von der Weihnachtsmusik gaben, auf welche ich bisher verzichten musste. Ich hätte bestimmt noch eine halbe Stunde so stehen können, wenn nicht die Direktorin erschienen wäre, um dem Geschehnis beizuwohnen. Bevor ihr negativ auffallen konnte, dass ich nicht in Schuluniform gekleidet war, machte ich mich auf zur zweiten Stunde Russisch an diesem Tag.

Gegen 16 Uhr skypte ich mit meiner Familie. Da erschienen sie also auf dem Bildschirm. Meine Lieben, mit welchen ich seit 16 Jahren um diese Zeit zusammensitze und ungeduldig auf die Bescherung warte…
Da war meine Mutter, welche schniefend das Zimmer verliess, um sich wieder zu sammeln, meine Schwester, welche breiter grinste, als ich am Weihnachtsmorgen.
Mein Vater, welcher sich erkundigte ob es mir gut gehe.
Oma, Opa und Großtante, Onkel welche sich sehr freuten mich zu sehen.
Auch die ca. 80 jährige Schwester meines Opas war da und sagte immer wieder fassungslos: „Ich hätte nicht gedacht, dass sie so gut zu sehen und zu hören ist!“ Technik, die begeistert…
Wir unterhielten uns also, wie es uns gehe, was geschehen sei und wie seltsam ein Weihnachten getrennt von einander doch sei.
Anschließend quatschte ich noch etwas allein mir meiner Schwester. Hach, wie sehr ich doch die Gespräche mit ihr vermisse. Zwar versteh ich mich mit Ksjoscha immer besser und wir quatschen mittlerweile ziemlich viel über alles mögliche- aber mit meinem Schwesterchen ist das doch noch etwas anderes…
Auch das schönste Gespräch hat mal ein Ende und so fand auch meines eins, als meine Schwester zum Kaffeetrinken gerufen wurde, welches vor der Bescherung stattfindet. Es lässt sich schwer beschreiben, was man denkt, wenn man genau weiss, dass die gesamte Familie gerade bei Tisch sitzt und in wenigen Minuten sich gegenseitig eine fröhliche Weihnacht, im Schein der erleuchteten Tanne, wünscht… man fühlt sich etwas einsam…

Meine Gastmutter kam nach Hause. Sie war außer Atem und kramte in ihrer Tasche. Schließlich drückte sie mir einen kleinen Beutel mit Pirogen in die Hand:
„Hier! Ich bin durch die halbe Stadt gerannt nur um deine Lieblingspirogen, mit Kartoffelfüllung, zu erwischen… aber schließlich ist bei dir heute Feiertag!“
Ich war gerührt. Doch es kam noch besser. Meine Gastmutter bat Ksjoscha, Dascha und mich in die Küche. Hinter ihrem Rücken zauberte sie für jeden von uns Geschenke hervor:
„Damit du heute nicht ganz ohne Geschenke auskommen musst!“ Sagte sie zu mir. Ich war gerührt. In der Hand hielt ich eine weinrote Geschenktüte, welche ich nun öffnete. Ein rosafarbener Plüschhase sah mich an. Ich nahm ihn in die Hand und drückte auf einen Knopf. Er begann zu sprechen. Irgendetwas von Bären und Mäusen- mehr hat selbst meine Gastschwester nicht verstanden. In der Tüte befanden sich außerdem noch zwei Tafeln Schokolade. Ich freue mich wirklich über das Geschenk- auch wenn ich meinen leiblichen Eltern das Geschenk eines sprechenden Plüschhasens, am Weihnachtsabend, im Alter von 16 Jahren, vermutlich nicht so schnell verziehen hätte. Aber in diesem Falle war eher die Geste des Beschenkens das eigentliche Geschenk.




Das ist „Praskowija“- ich wollte extra einen ungewöhnlichen, russischen Namen…allerdings habe ich wirklich Schwierigkeiten mich an diesen zu erinnern, weshalb „Praskowija“ meist einfach „Häschen“ heißt.

Nachdem wir uns die Pirogen schmecken lassen hatten, sahen Ksjoscha und ich „Stolz und Vorurteil“ auf ihrem Laptop an. Wunderbarer Film- zwar verstehe ich Aufgrund der altertümlichen Sprache fast nichts, aber ich habe ihn auf Deutsch bestimmt schon 5 mal angesehen.


Am Samstag war ich von der Deutschlehrerin eingeladen (gebeten) worden in den 10. Klassen, welche Deutsch lernen, über das deutsche Weihnachtsfest zu erzählen. Im Klartext bedeutete das 6 mal hintereinander den selben Vortrag in einer Fremdsprache zu halten - 40 Minuten lang… Dennoch sagte ich zu.
Es klappte erstaunlich gut. Ich schwärmte 40 Minuten von Weihnachtsmärkten, Räuchermännchen und Wunschzetteln, unterlegte das alles mit Bildern und hatte sogar meinen Adventskalender, welchen mit meine Großeltern geschickt hatten, mitgebracht. Die Reaktionen meiner Zuhörer waren immer die selben:
- zunächst offene Münder „Oh man! Die kann ja Russisch…“
- große Augen „Maaaan! Wieso gibt es bei uns so was nicht?!“
Die Lehrerin betonte mehrmals, dass ich es ohne ihre Hilfe ausgearbeitet hätte- worauf ich auf Ksjoschas Hilfe hinwies. Dennoch schien mein Vortrag zu begeistern.
Nach dem kleinen Ausflug in deutsche Tradition, waren immer noch ein paar Minuten übrig, in welchen ich mich einem Fragenbombardement stellte:
- Woher kommst du?
- Gefällt es dir hier?
- Wieso ausgerechnet Russland?
- Wie lange lernst du Russisch?
- Welche Unterschiede gibt es zwischen Deutschland und Russland bzw den jeweiligen Schulen?
- Bei wem wohnst du hier?
- Wie lange bleibst du?
- Wie alt bist du?
- Welche Hobbies usw…

Die Deutschlehrerin war so zufrieden mit meiner Ausarbeitung, dass sie mich sogar eine Stunde vollkommen allein reden liess.
Schon witzig, wenn man die Pause am Lehrertisch sitzt und die Gespräche der anderen anhört:
„Ach, das ist die Deutsche die den Vortrag halten wird? Auf welcher Sprache? Englisch! Kann sie überhaupt Russisch?“
Und dann klingelt es zur Stunde. Ich stehe auf. Sehe dem Schnatterinchen in die Augen und beginne meinen Vortrag:
„Also heute erzähle ich euch etwas über das Deutsche Weihnachtsfest. - Weihnachten ist in Deutschland die schönste Zeit des Jahres- es riecht nach Schokolade, frischgebackenen Plätzchen …“
Eine der Klassen beschenkte mich sogar mit Weihnachtsgrußkarten, in welchen sie Glückwünsche zum neuen Jahr und Weihnachten niedergeschrieben hatten- teilw. sogar auf Deutsch! Auch Süßes bekam ich als Dankeschön geschenkt. Ich war gerührt.
Getoppt wurden diese Aufmerksamkeiten allerdings von dem Geschenk der Deutschlehrerin. Sie schenkte mir eine Schachtel Pralinen, bedankte sich und wünschte mir noch nachträglich frohe Weihnachten- immer wieder beeindruckend, wie gut sie Deutsch kann!
Überwältigt von dem guten Feedback meines Vortrages und den vielen Aufmerksamkeiten machte ich mich auf den Heimweg.

Den Sonntag faulenzte ich im russischen Heim. Das hatte zur Folge, dass ich, als ich am Montagmorgen die Wohnung verliess, nicht schlecht überrascht war. Es hatte geschneit- jetzt ist bei mir ungefähr so viel Schnee wie bei euch- soweit ich das beurteilen kann. Hier ein paar Fotos:

Zugeschneite Autos und Wohnungseingänge auf der Straße vor der Wohnung.



Ich stapfte also durch den Tiefschnee, welcher mir fast bis zu den Knien reichte. Na klasse: Die Stapferei würde ich jetzt eine Woche mitmachen müssen, denn solange dauert es ungefähr bis hier die Nebenstraßen und Fußwege geräumt sind.

Am Dienstag hielt ich im Unterricht der Tschuwaschischen Sprache meinen Vortag zum deutschen Weihnachtsfest. Die Lehrerin hatte mich gebeten dieses zu tun, da ihr die 10. Klassen ganz begeistert davon berichtet hätten. Außerdem hatte sie noch nicht für die letzte Tuschuwaschischstunde vor den Ferien geplant. Also hielt ich zum siebten mal meinen Vortrag und einen Tag später sogar zum achten mal, da die Lehrerin so begeistert war, dass sie mich gleich noch vor ihrer anderen Unterrichtsklasse sprechen liess.

Meine Gastmutter und Dascha verließen am Dienstagnachmittag die Wohnung. Sie fuhren zu meinem Gastvater, welcher aufgrund seiner Arbeit zzt. 3000km weit weg arbeitet. –man verabschiedete sich kurz und schmerzlos, denn schließlich würde man sich bald wiedersehen. Nur Dascha war sehr anhänglich und meinte zu mir: „Ich werde dich vermissen.“ Niedlich. Eigentlich sollte das Mütterchen bei uns wohnen, aber dieses war bereits ausgelaugt von den Strapazen der vergangenen Woche, in welcher sie auf Dascha aufgepasst hatte. Dies führte dazu, dass sie sich nicht bereit erklärte mit uns zu wohnen, denn schließlich seien wir alt genug. Meine Gastmutter sah das etwas anders. Aber ihr waren die Hände gebunden- sie musste uns allein die Wohnung überlassen. Juhu! Natürlich hielt sie Ksjoscha und mir nun einen Vortrag. Angefangen beim ausschalten des Gasherdes, dem Verbot von Herrenbesuch und so weiter. Schließlich meinte sie zu mir:
„Meine Mutter (das Mütterchen) meinte zu mir du seist ein anständiges, vernünftiges Mädchen und bereits fast erwachsen. Ich vertraue darauf, dass du auf Ksjoscha aufpasst.“
Oha. Unerwartete Ehrung und Verantwortung. Natürlich versicherte ich sie sich in ihrer Aussage nicht zu irren.

Und damit sind wir schon bei meinen Erlebnissen des vergangenen Mittwochs angekommen:
Letzter Schultag vor den Neujahrsferien! Hurra! Ich nutze den Tag, um ein bisschen Väterchen Frost zu spielen- oder in dem Falle vermutlich eher Schneeflöckchen, indem ich liebgewonnene Menschen mit kleinen Geschenken zum Neujahrsfest beglückte. So schenkte ich z.B.: Natascha das Buch „Gordost i predupreschdenie(Stolz und Vorurteil)“ . Sie und auch die anderen Beschenkten freuten sich sehr. Des weiteren beschenkte ich drei Lehrerinnen mit selbstbeschrifteten Grußkarten und Pralinen. Ich schildere euch mal kurz die verschiedenen Reaktionen bezüglich meines kleines Dankeschöns.

Ich suchte das Vorbereitungskabinett der Biologielehrerin auf. Klopfte an und trat ein. Ich stand einen kurzen Moment lächelnd an der Türschwelle- in er Hand eine A3 große Packung Pralinen und einen Briefumschlag mit der Grußkarte. Schließlich sagte ich:
„Ein frohes, neues Jahr! Das ist nur ein kleines Dankeschön.“
Sie sah mich mit einer Mischung von Überraschung und wahrer Freude an. Begann dann hektisch die Schränke des Kabinetts zu durchwühlen und sprach - mehr zu sich selbst, als zu mir :
„Oh das ist aber lieb von dir! Da muss ich dir doch unbedingt auch was schenken…wo hab ich denn…hier waren doch…“
Schließlich fand sie eine unversehrte Schachtel Pralinen, strahlte mich an, überreichte sie mir und meinte (immer noch etwas hektisch aber sichtlich erfreut):
„Ach meine Gute! Bist du eigentlich katholisch oder evangelisch?“
„Evangelisch“
„Ach…hmm.. na ja egal! (sie bekreuzigte mich, umarmte mich) geh mit Gott meine Liebe! Und du bist immer herzlich zum Teetrinken eingeladen!“

Ich betrat das Unterrichtszimmer der Deutschlehrerin. Sie war nicht da. Ich legte Pralinen und Karte auf den Lehrertisch.

Meiner Englischlehrerin (und YFU. Freiwilligen) überreichte ich ebenfalls Pralinen. Sie nahm sie freudestrahlend entgegen, öffnete sofort die Grußkarte, las sie und meinte:
„Sogar ohne Fehler! Das ist sowieso das beste Geschenk!“

Doch natürlich liess man mich nicht leer ausgehen. Hier Bilder meiner kleinen Geschenke:

In Algebra beschenkte unsere Lehrerin alle Schüler mit Süßigkeiten- schließlich ist bald Neujahr und das wird hier groß gefeiert. Nur ich bekam nichts. Ich fand es nicht weiter schlimm, denn schließlich ist es nicht meine Klasse und Algebra ist mir so schon eher unsympathisch. Pascha meldete sich und meinte:
„Da lernt Scharlotta nun ein halbes Jahr bei uns, ist nie zu spät und bekommt keine Neujahrssüßigkeiten?!“
Ha! Wenigstens einem ist es aufgefallen. Die Lehrerin schaute etwas verdutzt aus der Wäsche. Die Schulglocke bewahrte sie davor etwas erwiedern zu müssen. Anschließend erkundigte ich mich bei ihr welche Halbjahresnote sie mir erteilen würde. Eine 4. Das geht schon. Aber dann sagte sie etwas was mich bis heute aufregt: „Die Amerikanerin bekommt eine 5.“ Was?! Wie bitte?! Das Mädchen was einmal in der Woche dem Unterricht beiwohnt und vielleicht gerade mal 4 Tests mitgeschrieben hat soll ein Einserschüler sein? Das liess ich nicht unkommentiert: „Wie das? Sie ist doch kaum hier? Wie kann man da eine Note für außergewöhnlich gute Leistungen bekommen?“ Zum zweiten mal an diesem Tag schaute sie verdutzt aus der Wäsche. Etwas hilflos schwieg sie. Ich verliess den Raum.

Als Ksjoscha und ich an der Haltestelle auf den Bus warteten wurde folgendes Bild aufgenommen:




Väterchen Frost wartet auf den Bus...

Väterchen Frost und Schneeflöckchen stiegen sogar in unseren Trolleybus ein:
„Ein frohes, neues, gesundes Jahr 2011, meine lieben Freunde! Haha! Wer will ein Gedicht vortragen oder Ein Lied vorsingen, um Süßes zu bekommen? Ach! Ich sehe schon du willst etwas vortragen…“ Die beiden sorgten mächtig für Stimmung. Schließlich sah er mich an. Och nö… bitte nicht…
„Haha! Ich sehe es dir an- du willst auch etwas sagen!“
„Aber ich kenne kein Gedicht auf Russisch…“(ich war nicht die erste die das sagte, viele schienen diese Ausrede zu haben.)
„Egal sag etwas auf Englisch, Französisch oder Deutsch!“
„Dann sag ich etwas auf Deutsch auf!“
„Na dann mal los!“
„Lieber, guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an. Packe deine Rute ein, ich will auch immer artig sein.“
Ich weiss, es ist etwas unpassend Väterchen Frost ein Gedicht vorzutragen, welches für deinen Kollegen gedacht ist, aber mir fiel auf die Schnelle nichts anderes ein. Übrigens schien ihm erst in diesem Moment aufzugehen, dass ich nicht von hier bin.
„Ooo! Wunderbar! Auch Väterchen Frost hatte einmal Deutsch in der Schule: … Ich heiße…(sagte er auf Deutsch) und weiter erinnert sich Väterchen Frost nicht mehr. Egal du bekommst natürliche etwas Süßes!“
Er drückte mir einen Lutscher in die Hand. Mein erstes Geschenk von Väterchen Frost. Den restlichen Tag grinste ich und freute mich wie ein kleines Kind, was sehr zur Belustigung meiner Gastschwester beitrug.


Schneeflöckchen und Väterchen Frost




Der Lutscher


Endlich im russischen Heim angekommen, brachten wir selbiges auf Vordermann. Geschirr spülen, Wäsche waschen, Boden wischen usw. und alles nur, weil Ksjoschas Bruder über Neujahr hier einziehen wird und wir solange zu Ksjoschas Vater gehen werden.

Am Donnerstag suchten wir nur kurz die Schule auf, da die Notenverteilung erfolgen würde und eine Ehrung besonderes guter Schüler.
Zunächst fand die allgemeine Ansprache für die 9. Klassen statt, in welcher Einserschüler und Olympiadenteilnehmer geehrt wurden. Schulolympiaden finden hier übrigens sehr häufig statt. Die Teilnehmer werden sogar teilweise vom Unterricht freigestellt, um sich vorbereiten zu können- schließlich repräsentieren sie die Schule.
Dann fand man sich in den jeweiligen Klassen zusammen, der Klassenlehrer hielt eine kleine Ansprache an die Klasse, welche die Erfolge/ Misserfolge der Klasse zusammenfasste. In diesem Falle schimpfte unsere Klassenlehrerin, da man hier oft den Unterricht schwänzt, an Samstagen nicht in der Schule erscheint und es sogar Fälle von Trunkenheit im Unterricht gibt- und das in der 9.Klasse!!
Anschließend lobte sie ein paar Schüler und kam auf mich zu sprechen:
„Scharlotta! Mir ist bisher nur Gutes über dich zu Ohren gekommen!
Die Biologielehrein meinte Anfang des Monats zu mir, dass du sehr bemüht wärst Russisch zu lernen.
Die Deutschlehrerin ist begeistert von deinem ausgearbeiteten Plakat und dem Vortrag.
Die Physiklehrerin schätzt dich für dein Benehmen und deine Leistungen.
In meinem Englischunterricht habe ich die Schüler einen Vortrag schreiben lassen zu „eine Person die ich bewundere“ und da gab es sogar welche, die über dich schrieben!
Wirklich- ich danke dir: Es tut wahnsinnig gut so etwas zu hören!“

Da muss ich ihr Recht geben. :) Leider wurden mir keine Noten erteilt. Nur in Englisch und Physik eine 5 und in Algebra eben die 4.

Ksjoscha ist übrigens Klassenbeste. Sie hat insgesamt nur drei vieren – alles andere sind fünfen!
----Der Eintrag zum 31.12. folgt demnächst- zzt. ist hier viel los. Ich bitte um Verständnis :)----